Experteninterview zum Thema „Rückenschmerzen“
Weil kaum jemand im Laufe seines Lebens von Rückenschmerzen verschont bleibt, gelten sie als Volkskrankheit Nr. 1 in Deutschland. Doch ist es bereits zu spät, wenn der Rücken schmerzt? Muss bei akuten Schmerzen sofort operiert werden oder gibt es konservative Behandlungsmethoden? Als Rückenschmerzpatient in der Privatpraxis Worms, habe ich Philipp Zirkel, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie & Wirbelsäulenspezialist, ausführlich dazu befragt.
– Hendrik Mörs (Patient)
Herr Zirkel, ich bin geplagt von Rückenschmerzen und möchte verstehen, was da los ist. Was sind denn die häufigsten Ursachen für Rückenschmerzen?
Damit stehen Sie leider nicht allein da. Zahlreiche Menschen klagen über Rückenschmerzen, die sehr oft in ganz alltäglichen Belastungen ihren Ursprung haben. Langes Sitzen am Schreibtisch oder die falsche Körperhaltung beim Heben schwerer Gegenstände kann zu Verspannungen und sogar Schmerzen führen. Eins ist klar: Wer sich zu wenig bewegt, schwächt seine Rückenmuskulatur. Die muss jedoch gut ausgeprägt sein, damit die Wirbelsäule ausreichend gestützt wird.
Tatsächlich kann auch psychischer Stress eine Ursache für Rückenbeschwerden sein, denn er führt zu Muskelverspannungen. Und Verspannungen können Schmerzen auslösen. Natürlich spielt auch das Alter eine wichtige Rolle, denn je älter wir werden, desto mehr Verschleißerscheinungen weist unser Körper an Bandscheiben und Wirbelgelenken auf. Auch das kann zu Schmerzen führen.
Neben diesen eher allgemeinen Einblicken, können natürlich auch ganz konkrete Ursachen Rückenschmerzen auslösen. Der Klassiker: ein Bandscheibenvorfall. Dabei tritt Bandscheibengewebe aus und drückt auf Nervenwurzeln, was zu starken Schmerzen und neurologischen Ausfällen führen kann. Auch eine Verengung des Wirbelkanals kann auf die Nerven drücken und Schmerzen, Taubheitsgefühle und Muskelschwäche verursachen (Spinalkanalstenose). Lokale Rückenschmerzen werden oft vom Verschleiß der kleinen Wirbelgelenke ausgelöst (Facettengelenksarthrose).
Aber auch übergewichtige Menschen, Raucher und Patienten mit genetischer Veranlagung gehören zur klassischen Rückenschmerzgruppe.
Wann sollte ich mit Rückenschmerzen zum Arzt gehen?
Gehen Sie auf jeden Fall zum Arzt, wenn Sie sehr starke Schmerzen haben, die plötzlich auftreten oder einfach nicht weniger werden, sondern sich eher verschlimmern. Auch wenn Sie Taubheitsgefühle verspüren oder ein Kribbeln bzw. eine Muskelschwäche in den Beinen sollten Sie das sofort von einem Arzt abklären lassen.
Rufen Sie in Ihrer Praxis an, wenn die Schmerzen länger als ein paar Wochen andauern oder Sie unter Fieber, Gewichtsverlust oder nächtlichen Schmerzen leiden. Sollten Sie einen Sturz oder Unfall gehabt haben, melden Sie sich bitte auch umgehend. Und selbst, wenn nichts davon vorliegt und Sie sich seit Langem Sorgen machen oder unsicher sind, kommen Sie in unserer Privatpraxis in Worms vorbei. Wir klären die genaue Ursache Ihrer Rückenschmerzen ab.
Okay und wie läuft so eine Rückenschmerz-Diagnose ab?
Als Erstes sprechen wir ausführlich zu Ihrem Rückenproblem. Dabei nehmen wir Ihre Krankengeschichte auf und analysieren Ihre Beschwerden aufs Genaueste. Während einer körperlichen Untersuchung überprüfen wir Ihre Haltung, Beweglichkeit und die Reflexe. Je nachdem, welches Beschwerdebild bei Ihnen vorliegt, arbeiten wir mit bildgebenden Verfahren. Durch Röntgenbilder können wir knöcherne Veränderungen, die beispielsweise bei Arthrose oder Wirbelbrüchen auftreten, erkennen. Mithilfe eines CT (Computertomographie) erhalten wir Aufschluss über Probleme an Knochen und Gelenken. Mit unserer hausinternen MRT (Magnetresonanztherapie) erhalten wir darüber hinaus detaillierte Einblicke zu Ihren Bandscheiben, Nerven und Muskeln. Die Funktion Ihrer Wirbelsäule und Muskulatur analysieren wir mithilfe unserer 3D-Wirbelsäulenvermessung und der EMG-Muskelmessung.
Und danach: Welche konservativen Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Da gibt es einige Therapieformen, die wir – je nach Art Ihrer Rückenschmerzen – oftmals miteinander kombinieren. Für eine kurzfristige Linderung eignen sich Entzündungshemmer und Schmerzmittel. Sowohl bei akutem als auch chronischem Bedarf setzen wir auf Injektionen mit unseren Infusionsbehandlungen. Mit einer begleitenden Physiotherapie kräftigen wir Ihre Rückenmuskulatur, verbessern Ihre Beweglichkeit und korrigieren mögliche Fehlhaltungen.
Eine manuelle Therapie kann beim Lösen von Blockaden und bei der Schmerzreduzierung unterstützen. Außerdem setzen wir auf die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) und können Schmerzen mithilfe von Akupunkturen lindern und Ihre Selbstheilungskräfte aktivieren.
Entzündungen behandeln wir oft mit hochenergetischen Schallwellen, die die Gewebeheilung anregen oder mittels Kälteanwendungen. Hydrojetbehandlungen unterstützen durch sanfte Wasserstrahlmassagen die Verspannungslösung und Durchblutung. Außerdem geben wir Ihnen Tipps, wie Sie Ihren Arbeitsplatz und Alltag rückenfreundlicher gestalten, damit Fehlbelastungen erst gar nicht auftreten.
Es kommt immer auf Ihren speziellen Fall an. Deshalb gehen wir auf jeden Patienten persönlich ein und erstellen einen individuellen Therapieplan aus genau den konservativen Behandlungsmethoden, bei denen wir die bestmögliche Heilungschancen für Ihre Rückenschmerzen sehen.
Was kann ich denn selbst tun, um meine Rückenschmerzen zu lindern?
Es mag nicht jedem schmecken, was ich jetzt sage, aber bewegen Sie sich. Und zwar regelmäßig. Sie müssen es nicht übertreiben. Eine halbe Stunde Schwimmen, Radfahren, straffes Gehen oder Yoga können – wenn mehrmals in den Wochenplan eingebaut – schon einen entscheidenden Unterschied machen. Achten Sie darauf, diese Sportarten korrekt auszuführen (am besten angeleitet durch einen Coach) und übertreiben Sie es nicht.
Schauen Sie sich außerdem Ihren Arbeitsplatz an. Hier verbringen Sie viele Stunden am Tag. Sie sollten eine gute Haltung am Schreibtisch einnehmen und Ihren Stuhl sowie Monitor auf die richtige Höhe bringen. Perfekt wäre ein Stehtisch, den Sie bei Bedarf zum Sitzen absenken können. Viele Firmen unterstützen ihre Mitarbeitenden mittlerweile mit ergonomischen Arbeitsplätzen. Bauen Sie außerdem regelmäßige Pausen ein, in denen Sie Ihren Körper kurz dehnen oder mal ein Stockwerk hoch und runter laufen. Vermeiden Sie in jedem Fall stundenlanges Sitzen ohne Unterbrechung
Und auch das wollen viele nicht hören, aber wenn Sie übergewichtig oder dauergestresst sind, belasten Sie Ihren Rücken – und das tagein, tagaus. Achten Sie auf die vielbeschriebene ausgewogene Ernährung mit ausreichend Obst und Gemüse. Bauen Sie bewusst kleine Auszeiten in Ihren Alltag ein, die nur Ihnen gehören, zum Beispiel ungestörte Entspannungs- und Meditationsübungen oder melden Sie sich beim Yogakurs an.
Wenn Sie schwere Gegenstände heben, beispielsweise beim Umzug oder bei der Gartenarbeit, versuchen Sie dies immer aus den Beinen heraus und tragen Sie diese nah bei sich. Beugen Sie sich zum Anheben nicht nach vorn, sondern gehen Sie in die Knie, um den unteren Rücken zu schonen.
Wenn das alles nichts hilft, ist dann eine Operation notwendig?
In unserer Privatpraxis in Worms vertreten wir die Meinung, dass eine Operation nur in seltenen Fällen notwendig ist. Zuerst sollte die breite Palette der konservativen Behandlungsmethoden ausgeschöpft werden. Wenn diese nicht zur Beschwerdelinderung führen und die Schmerzen unerträglich werden oder sogar neurologische Ausfälle auftreten, ziehen wir eine Operation in Betracht.
Klarer Indikation für eine Operation ist zum Beispiel ein Bandscheibenvorfall mit Lähmungserscheinung. Gleiches gilt, wenn eine Spinalkanalstenose mit schweren neurologischen Ausfällen vorliegt. Auch ein Wirbelbruch mit Instabilität kann eine Operation erfordern, damit die gesamte Wirbelsäule wieder stabilisiert wird.
Bevor es dazu kommt, sprechen wir jedoch umfassend mit Ihnen über sämtliche Risiken und den Nutzen des Eingriffs. Außerdem raten wir Ihnen in dem Fall immer zu einer Zweitmeinung.
Sie hatten angedeutet, dass auch Stress oder psychische Belastungen Auslöser für Rückenschmerzen sein können?
Ja, Stress und psychische Belastungen können Rückenschmerzen verstärken oder sogar auslösen. Wenn Sie unter Stress stehen, verspannen sich Ihre Muskeln. Nehmen die Verspannung zu, kann das zu Schmerzen führen. Und tatsächlich können sich unangenehme Emotionen wie Angst, Ärger und Trauer in Rückenschmerzen äußern. Deshalb ist es wichtig, dass Sie gut auf sich Acht geben und ein Gefühl dafür entwickeln, was Ihnen Stress bereitet und welche Entspannungstechniken zu Ihnen passen. Neben Meditation und Yoga kann auch autogenes Training unterstützend wirken. Bei schweren psychischen Belastungen, die weit über Alltagsstress hinausgehen, kann eine Psychotherapie helfen, Ihre Stressoren herauszuarbeiten und Bewältigungsstrategien zu entwickeln.
Wie sieht die Nachsorge nach einer Therapie aus?
Nach einer erfolgreichen Rückenschmerz-Therapie ist in unserer Privatpraxis nicht Schluss. Wichtig ist, dass Sie die in der Physiotherapie erlernten Übungen in Ihren Alltag integrieren, damit es nicht zu Rückfällen kommt. Ein gesunder Rücken braucht regelmäßige Bewegung, eine gute Körperhaltung und einen vernünftigen Umgang mit Stress. Wir veranlassen Kontrolluntersuchungen, weiterführende Physiotherapien und fortführende Beratungen für unsere Rückenschmerz-Patienten.
Vielen Dank für das ausführliche Gespräch, Herr Zirkel.

Über den Autor: Philipp Zirkel
Philipp Zirkel ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Wirbelsäulenspezialist in der Privatpraxis Dr. Ebner & Kollegen in Worms. Nach seinem Medizinstudium sammelte er Erfahrung auf der operativen Intensivstation und in der interdisziplinären Notaufnahme. Anschließend vertiefte er seine Expertise als Assistenzarzt an der Schön Klinik Lorsch mit Schwerpunkt Wirbelsäulenorthopädie sowie in weiteren orthopädischen Einrichtungen in Frankfurt und Offenbach. Sein besonderes Interesse gilt der ganzheitlichen Versorgung von Patienten mit Rücken- und Wirbelsäulenbeschwerden.
